Wolfgang Willner, Heimische Schmetterlinge in ihren Lebensräumen entdecken und erkennen. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim. 2021. 432 Seiten, Hardcover, Format 12,5 x 19,5 cm
Dieser Naturführer ist die Neuausgabe des vor zehn Jahren erschienenen Werkes «Die Schmetterlinge Deutschlands in ihren Lebensräumen». Das Werk gliedert sich einen allgemeinen Teil, in welchem Körperbau, Entwicklungszyklus, Feinde, Verhalten sowie Gefährdung und Schutz beschrieben sind. Danach folgt ein Abschnitt, in welchem die im speziellen Teil berücksichtigten Schmetterlingsfamilien kurz vorgestellt werden. Der nächste Teil behandelt Lebensräume der Schmetterlinge, er wird gefolgt von den nach Familien geordneten Artbeschreibungen wobei auch einige sog. «Kleinschmetterlinge» berücksichtigt werden. Die über 300 Arttexte im speziellen Teil sind sehr knapp gehalten und behandeln Merkmale der Falter, Spannweite, Flugzeit, Lebensräume sowie Erscheinungszeit und Nahrung der Raupen. Zudem gibt es eine graphische Darstellung der Flug- und Raupenzeiten. Ein kurzes Glossar, ein Literaturverzeichnis mit überwiegend neueren Titeln und eine Liste von Internetressourcen aus Deutschland und den Nachbarländern sowie ein Register der deutschen und wissenschaftlichen Namen runden das Buch ab.
Heimische Schmetterlinge besser kennen lernen?
Das vorliegende Werk soll gemäss eigener Aussage «dem interessierten Laien und auch dem etwas erfahreneren Schmetterlingsbeobachter helfen, heimische Schmetterlingsarten kennenzulernen, und ein Leitfaden für das Auffinden und Beobachten dieser fliegenden Kunstwerke sein». Der Autor ist sicherlich ein begabter und fleissiger Naturfotograf, und entsprechend sind die meisten der Fotos qualitativ hochwertig, was ein Pluspunkt des Buches ist. Leider hat das kleine Format des Buches zusammen mit dem offensichtlichen Bestreben, die abgebildeten Tiere möglichst gross zu zeigen jedoch dazu geführt, dass viele Fotos sehr eng beschnitten wurden. Das führt dazu, dass die Falter und Raupen häufig eingezwängt aussehen was aus ästhetischen Gründen bedauerlich ist.
Auswahl heimischer Schmetterlingsarten eher ungeeignet
Während die Bilder grundsätzlich ein Lob verdient haben, lässt sich dies jedoch für den sonstigen Inhalt dieses Naturführers nicht sagen. Obwohl es ein Bestimmungsbuch sein will, dürfte es doch die meisten Benutzer aus der angepeilten Zielgruppe eher verwirren. Dies beginnt bereits mit der Auswahl der vorgestellten Arten, hat es darunter doch viele, welche die Leser kaum je zu Gesicht bekommen werden (z.B. Colias palaeno, Chazara briseis, Melitaea cynthia, Lopinga achine, Polyommatus daphnis etc.). Dafür fehlt aber etwa der inzwischen fast überall vorkommende Weissling Pieris mannii. Hier wäre eine Beschränkung auf die gängigeren, weiter verbreiteten Arten zweckmässiger gewesen.
Zwar gibt es bei Perlmutter- und Scheckenfaltern sowie Bläulingen Tafeln mit Flügelvergleichsfotos, allerdings nur für die behandelte Auswahl an Arten und ohne Erläuterungen, worauf speziell zu achten ist. Damit können Einsteiger kaum etwas anfangen. Und auch die Texte mit den Merkmalsbeschreibungen sind häufig eher kryptisch als hilfreich. Ein Beispiel (S. 132, Boloria thore): «Oberseite hellbraun oder orangebraun mit schwarzbraunen Streifen, Flecken und Verdunkelungen, Silberflecken auf Hinterflügelunterseite fehlend, wie bei den anderen Vertretern der Familie». Der erste Teil des Satzes mit der Beschreibung der Oberseite ist nichtssagend, weil dasselbe auch auf alle verwandten Arten zutrifft. Und im zweiten Teil hat es sowohl einen sprachlichen als auch einen sachlichen Fehler, welche den Sinn vollkommen entstellen. Korrekt müsste er wie folgt lauten: «ohne die bei den anderen Vertretern der Gattung vorhandenen Silberflecken auf der Hinterflügelunterseite».
Vertiefte Information fehlt
Die Informationen zu den Lebensräumen sind oberflächlich, obwohl sie ausdrücklich im Buchtitel erwähnt sind, und auch das Kapitel über Gefährdung und Schutz ist alles andere als tiefschürfend; hier darf man allerdings in einem Naturführer auch nicht allzu viel erwarten. Angaben zur regionalen Verbreitung der einzelnen Arten fehlen leider fast komplett, obwohl es mittlerweile zumindest für die Tagfalter mit dem Deutschland-Verbreitungsatlas eine aktuelle, präzise Grundlage dafür gäbe und obwohl viele der vorgestellten Arten nur (noch) in wenigen Gebieten vorkommen. Die Angaben zur Flug- und Raupenzeit sind sowohl jeweils im Arttext erwähnt als auch graphisch dargestellt und somit redundant. Zudem sind sie erheblichen regionalen und jährlichen Schwankungen unterworfen, was aber nirgendwo erwähnt wird.
Druckfehler sind gelegentlich zu beobachten (z.B. «Zygaena carniolic» auf S. 432), im Literatur- und Internetquellenverzeichnis gibt es vereinzelt Umbruchfehler (z.B. findet sich www.pyrgus.de ohne weitere Erläuterungen unter dem ACTIAS-Forum). Das Register ist unvollständig: Beispielsweise tauchen dort von den sechs vorgestellten Polyommatus-Arten nur drei auf. Kurios: Die Farbcodes oben in den Ecken den Seiten (hellblau für Tagfalter, dunkelblau für Nachtfalter) sind zwar in der Mehrzahl der Fälle jeweils auf Vorder- und Rückseite vorhanden, fehlen aber häufig auf den ungeraden Seiten. Insgesamt führt das zum Eindruck eines mit wenig Liebe zum Detail erstellten Werkes und eines oberflächlichen Lektorats.
Gute Druckqualität
Positiv sind noch die gute Druckqualität und der stabile Einband zu erwähnen. Das Buch ist mit seiner Größe und einem Gewicht von gut 650 Gramm noch eingermassen geländetauglich. Ob das im Verbund mit den schönen Fotos den potentiellen Leserinnen und Leser den Preis von um die 30 Franken wert ist mögen diese in eigenem Ermessen entscheiden.
Fazit: Bedingt empfehlenswert
Insgesamt verspricht das Buch leider mehr als es halten kann – es ragt mit seinem konventionellen Ansatz nicht aus der Masse ähnlicher Naturführer heraus und wird seinem Anspruch nicht gerecht. Es ist im Wesentlichen eine Aneinanderreihung oberflächlich abgehandelter Schmetterlingsarten. Für eine allfällige Neuausgabe ist die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen, wissenschaftlich arbeitenden Schmetterlingsspezialisten dringend anzuraten. Eine Beschränkung auf weniger, dafür ausführlicher beschriebene Arten oder inhaltliche Fokussierung auf bestimmte Themengebiete ähnlich wie in «Schmetterlinge entdecken und verstehen» von Rainer Ulrich hätte dem vorliegenden Buch sicher gutgetan.
Beitragsbild: Buchtitel, Ausschnitt. © Verlag Quelle & Meyer.